Olaf Grawert ist Mitarbeiter am Institut für Architekturtheorie und Baugeschichte der Universität Innsbruck. Im "heiligen Land" kennt er nicht nur das Goldene Dachl.
von Peter Schernhuber / 05.11.2013
Was gibt es Neues aus Tirol zu berichten, außer, dass bald die Wintersaison beginnt und halb Innsbruck auf der Piste ist?
Neues entsteht in Innsbruck im Kleinen. Wenn wir die letzten zwei, drei Jahre Revue passieren lassen, würde ich sagen, sind es Institutionen wie die Tortenwerkstatt, die Bäckerei (Dreiheiligenstraße 21a) oder das freie Theater (Wilhelm-Greil-Straße 23), die mit ihren Veranstaltungen die Stadt prägen. Sie bieten Raum und Bühne, ohne dabei gefallen zu müssen. Das ist in Bezug auf Programm und Gäste von entscheidendem Vorteil.
Sind Ihnen kürzlich Trends aufgefallen, so etwas wie der "letzte Schrei" in Innsbruck?
In Wirklichkeit sind es die gleichen Themen, die uns alle beschäftigen, ob in Innsbruck oder andernorts. Regionalismus und/oder der Trend zum Selbermachen spielen hier aber noch eine entscheidendere Rolle. Als ich vor ein paar Jahren zum Studieren hergekommen bin, war ich überrascht, wie viele lokale Unternehmen mit langer Tradition es gibt und wie selbstverständlich sie zum Alltag der Bewohner gehören. Man kauft dort nicht ein, weil es Trend ist, sondern weil die Erzeugnisse in Qualität und Design oftmals besser sind als Produkte der Masse. Mühlmann wäre hier als Beispiel zu nennen. Das kleine Osttiroler Modehaus fertigt in Außervillgraten und verkauft im eigenen Laden in Innsbruck, neben dem eigenen auch italienische, skandinavische und spanische Labels. Natürlich muss es gefallen, aber das Bewusstsein scheint ein anderes zu sein und ich hoffe, die Leute bewahren sich dieses. Angesichts der braunen Primark-Tüten, die das Stadtbild mittlerweile prägen, könnte man zu zweifeln beginnen.
Welche Läden, Orte, Bars bringen ein Gefühl von Urbanität in die Stadt?
Ich glaube, in Innsbruck sind es weniger Läden oder Orte, die ein Gefühl von Urbanität in die Stadt bringen als die jungen Menschen und deren Lebensstile. Ein Viertel Innsbrucks sind Studenten, über ein Drittel aus anderen Ländern. Diese Zusammensetzung ist vielleicht sogar einzigartig in Österreich, auf alle Fälle macht sie sich im Alltag bemerkbar. So mancher, der mit seinem Fixie-Rad an einem vorbeifährt, ist offensichtlich nicht aus dieser Ecke Österreichs - wo er/sie in der Folge einkauft, ist da eher nebensächlich. Man trifft sich überall, etwa am Landhausplatz, so groß ist unser Tal nicht.
Landhausplatz47.263845, 11.3952794 Welches Lokal hat Sie kürzlich positiv überrascht?
"Bistro Gourmand", ein kleiner Franzose in der Templstraße. Das Restaurant gibt es in dieser Form seit ein, zwei Monaten, an sich aber schon viel länger. Bis dahin kannte ich es als eher unscheinbare "Gaststätte" in 60er-Jahre-Optik. Thierry Aragona, den man aus dem Fischiff im Fruchthof kennt, wusste offensichtlich um den ursprünglichen Charme der Räumlichkeiten und hat ohne viel Lärm einfach aufgeräumt. Sympathisch und lecker.
Bistro Gourmand,
Templstraße 4,
6020 Innsbruck47.261200, 11.393439+43 660 66661081 Beruflich beschäftigen sie sich mit Architektur(Theorie). Welche Architekturen in Tirol würden Sie gerne besprechen?
Da kommen mir die temporären Architekturen in den Sinn, die mittlerweile zum fixen Bestandteil des Innsbrucker Sommers geworden sind. Letztes Jahr war es die Stadtstube der Tortenwerkstatt, ein Gerüstbau nebst dem Inn, der die Bewohner dem Fluss näherbrachte und eine offene Bühne für Auflegereien und Konzerte bildete. Diesen Sommer wurde das Birdie, ein Projekt von Studenten und dem Studio3 im Rahmen des Heart of Noise-Festivals, zum allabendlichen Treffpunkt und das auf schon fast "heiligem" Boden vor der Hofburg. Oft, glaube ich, wissen die Leute gar nicht um die Bedeutung und das Potenzial solch offener Räume in einer vom Tourismus geprägten Stadt.
Oft wird die Stadt aufs "Goldene Dachl" reduziert. Welche "Dachl" sind außerdem sehenswert?
Da gäbe es so einige, doch was die meisten sehenswerten Dächer gemein haben, ist, dass man sie nicht sieht. Ein aus architektonischer Sicht tolles Beispiel findet man unweit des Bahnhofs am Boznerplatz. Dort hat die Innsbrucker Architektin Silvia Boday einen Dachausbau aus Sichtbeton realisiert, der auf jeden Fall sehenswert ist. Wenn es um tolle Ausblicke und Einblicke geht, dann würde ich das Dachcafé in der Innsbrucker Altstadt empfehlen und natürlich die Wolke7 auf der Hungerburg. Dort kann man die Sonne genießen und auf vorbeifliegende Flugzeuge "runter"schauen.
Haben Sie eine Buchhandlung, die Sie besonders schätzen?
Da bin ich ehrlich und muss sagen, so etwas fehlt mir hier ein bisschen. Natürlich gibt es mit den Buchhandlungen Haymon (Erlerstraße 10) und der Liber Wiederin (Erlerstraße 6) zwei superfesche und toll sortierte Adressen in der Stadt, aber der Markt für junge, unabhängige Literatur scheint mir noch nicht recht erschlossen. Die Galerie im Taxispalais hat allerdings, nebst feiner Bibliothek, hier und da einen Buchflohmarkt, bei dem man tolle, teils handgedruckte und aufwendig gebundene Einzelstücke ergattern kann.
Wo zieht es Sie hin, wenn Sie die Stadt verlassen und doch in Tirol bleiben?
Da gibt es viele tolle Orte, um seine Freizeit zu verbringen. Wenn sich allerdings Freunde ankündigen, fahren wir gerne nach Bozen. Tirol im "weitesten Sinne". Die Fakultät für Design in Bozen ist eine fantastische Institution mit interessanten Lehrenden und spannenden Veranstaltungen. Entsprechend kann man in der Stadt so manchen namhaften Designer, Grafiker aber auch Architekten treffen, der zu einem Symposium oder Workshop geladen wurde. Auch das Museion hat viel zu bieten, nicht zuletzt ein ruhiges Café mit Blick auf Fluss und Berge.
Museion Bozen,
Dantestraße 6 (Via Dante),
39100 Bozen (Bolzano)46.496092 , 11.34957+39 0471 2234134 Welche Lokale der Stadt besuchen Sie mit Freunden?
Immer die gleichen, auch wenn wir uns vornehmen, öfters zu wechseln. Im Central (Gilmstraße 5) ist es einfach gut Kuchenessen. Im Innkeller schmeckt das Bier am besten.
Innkeller,
Innstraße 1 ,
6020 Innsbruck47.269102, 11.389946+43 512 2915081 Und wo feiern Sie auch mal bis zum Morgen?
Da scheiden sich die Geister: Feiern kann man in Innsbruck an allen Ecken. Ich bin glühender Verfechter des Plan B - des ehemaligen Couch Clubs. Dort geht es um gar nichts außer um die Musik und die ist fantastisch elektronisch. Als Gegenstück zu den eher lokalen Acts, die das Plan B meist bietet, hat der Club Cubique (Karmelitergasse 21) in den Räumlichkeiten des ehemaligen Studio21 neu eröffnet. Wenn er halten kann, was er verspricht, wird man mich auch dort öfters sehen.
Plan B
Viaduktbogen 15
6020 Innsbruck
Plan B ,
Viaduktbogen 15 ,
6020 Innsbruck 47.266055 , 11.402111